Ein Interview zur Wiener Ehrenamtswoche

Im Gespräch: Vucko Schüchner GF, Gini Stern Leiterin Schulevents und Maria Wildfellner Projektleiterin der Wiener Ehrenamtswoche

Gehen dem Ehrenamt die Leute aus?

Die Wiener Ehrenamtswoche rückt auch heuer wieder freiwilliges Engagement ins Licht. Während viele gemeinnützige Organisationen händeringend nach Leuten für ehrenamtliche Funktionen suchen, engagieren sich immer mehr Menschen bei ganz konkreten Hilfsaktionen oder werden selbst aktiv. Steckt das Ehrenamt also in der Krise? Vucko Schüchner, GF von WIENXTRA, Gini Stern, Leiterin von WIENXTRA-Schulevents und Maria Wildfellner, Projektleiterin der Ehrenamtswoche, stellen sich der Frage. Sie erzählen davon, wie ein Satz eines Jugendlichen zur Initialzündung der Ehrenamtswoche wurde, worauf sie besonders stolz sind und was es braucht, damit sich noch mehr Menschen freiwillig engagieren. 

Was ist die Wiener Ehrenamtswoche?

MARIA: Die Aktion findet einmal im Jahr kurz vor den Sommerferien statt und bringt gemeinnützige Organisationen, Vereine und Stadt Wien Einrichtungen mit Schulklassen zusammen. Junge Menschen erhalten dabei die Möglichkeit gemeinnützige Arbeit zu erleben. Bei der Ehrenamtswoche packen Schüler_innen kräftig mit an und befreien die Donauinsel von Müll, sie gestalten Hochbeete, spielen mit Senior_innen Brettspiele oder verteilen Sachspenden und noch vieles mehr. Dadurch werden sie für wichtige Themen unserer Zeit sensibilisiert, sie bekommen die Chance sich selbst auszuprobieren und entdecken vielleicht sogar neue Fähigkeiten und Interessen. 

Warum braucht es Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren? Wäre es nicht besser, wenn jede Arbeit bezahlt ist?

VUCKO: Beim Ehrenamt spürt man, Teil einer Gemeinschaft zu sein. Ohne den Beitrag jeder und jedes einzelnen kann es keine Gemeinschaft geben. Ehrenamtliches Engagement hat damit eine große Bedeutung für die Stärkung der Demokratie, für eine nachhaltige Entwicklung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Wer sich für die Gesellschaft, die Umwelt und die Stadt engagiert, erfährt, dass der eigene Beitrag etwas bewirken kann. Fürs eigene Leben, für die eigene Zukunft, aber auch für die gemeinsame Zukunft der Gesellschaft und unserer Stadt, die dadurch ein stückweit mitgestaltet wird. Ich habe viele meiner Skills in Gruppen erworben.
Als Jugendlicher habe ich mich in verschiedenen Organisationen sehr aktiv für mehr Rechte eingesetzt. Man lernt viel für sich selbst. Auch wie ich mit anderen umgehe, oder wenn ich wo anpacke, bewegt sich was. Und das gemeinsame Erlebnis ist wichtig. 

Inwiefern fördert die Ehrenamtswoche ein Bewusstsein dafür?

VUCKO: Die Ehrenamtswoche ist ein Türöffner. Kinder und Jugendliche lernen gemeinnützige Organisationen und Vereine kennen und sehen, wo sie mitmachen können. Sie erleben hautnah, welche Möglichkeiten es gibt. Sie merken, dass sie einfach durch ihr Tun, indem sie einfach machen, ihre Stadt mitgestalten. Nachdem sie da waren, ist ein Spielplatz sauber, blüht ein Blumenbeet auf oder ein Kühlschrank ist gefüllt für eine Familie. Und das alles entsteht, weil viele gemeinsam mit angepackt haben. 

GINI: Mit der Ehrenamtswoche wollen wir jungen Menschen auch näherbringen, dass wir über den eigenen Selbstzweck hinaus etwas bewirken können. Und auch was es jeder_m Einzelnen und der Gesellschaft bringt, wenn wir Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen. Es gibt viel zu wenig Bewusstsein dafür, was alles gemeinnützig passiert. 

VUCKO
: Ja, vieles, was ehrenamtlich passiert, sehen wir nicht, wird als selbstverständlich gesehen. Wer zum Beispiel gern Wandern geht, ist es gewohnt, auf gepflegten und sicheren Wegen unterwegs zu sein. Aber ohne viele Menschen, die diese Wege in ihrer Freizeit herrichten, gäbe es das nicht. 

Gibt es hier ein Problem? Geht das ehrenamtliche Engagement zurück?

VUCKO: Tatsächlich erlebe ich in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit bei den Naturfreunden, dass immer weniger Menschen wichtige Funktionen im Verein übernehmen wollen. Das Ehrenamt ist im Wandel. Regelmäßiges und verbindlich dauerhaftes Engagement nimmt ab. Dieser Wandel stellt viele Organisationen vor Herausforderungen, weil gewohnte Strukturen nicht mehr aufrechterhalten werden können, wenn die Leute fehlen. 

GINI: Dauerhaftes und institutionalisiertes Engagement mag abnehmen, gleichzeitig ist die Bereitschaft sehr groß, sich punktuell für eine konkrete Aktion zu engagieren. Es gibt viele Leute, die mithelfen und anpacken wollen.  

MARIA: Ja, genau. Mir fällt es eher schwer eine regelmäßige ehrenamtliche Tätigkeit in meinen Alltag zu integrieren, ich versuche aber immer wieder punktuell zu helfen. Als 16-Jährige habe ich zum Beispiel gemeinsam mit einer Freundin an unserer Schule Spenden für Tsunami-Opfer gesammelt. Oder später dann auch hier in Wien Spenden an Flüchtlinge verteilt oder auch kürzlich bei der Aktion „A G’spiar fürs Tier“ ukrainische Geflüchtete und deren Haustiere mit Infos, Futter, Spielzeug und Tierarztkontakten versorgt.
Ich denke viele Menschen engagieren sich heute dort, wo es gerade gebraucht wird. Sie werden hellhörig, dass es ein Problem gibt und wollen helfen. Online kann man mittlerweile sehr gut nach möglichen ehrenamtlichen Einsätzen suchen, zum Beispiel auf der Plattform Freiwillig für Wien von den Helfer Wiens. Oder ich habe auch diverse Newsletter abonniert, z.B. von der Volkshilfe oder von füreinand’, eine Initiative der Caritas, und verfolge deren Aufrufe. 

GINI: Wer sich vor 30 Jahren ehrenamtlich engagieren wollte, wurde Vereinsmitglied, war bei der Feuerwehr oder der Kirche aktiv und das war es schon. Wer sich damit nicht identifizieren konnte, hat nicht mitgemacht. Heute gibt es viel mehr Möglichkeiten. Gemeinschaftsstiftendes kann anders stattfinden und spricht vielleicht auch mehr Menschen an, weil es einfacher und näher an den eigenen Interessen dran ist. Das Engagement der Menschen ist dadurch nicht weniger geworden. Vielleicht sogar mehr. Ich kann eine Grätzloase vor meiner Haustür aufstellen, eine Baumscheibe begrünen. Direkte Mitsprache ist auf viel mehr Ebenen möglich und geht online so unkompliziert wie noch nie. Und punktuelles Ehrenamt passt mit der Arbeitsrealität besser zusammen.

MARIA
: Außerdem gibt es so viel Angebot und so viele Themen sind präsent, weil alles schnelllebiger ist. Sich langfristig für einen Verein zu committen heißt ja auch sich dauerhaft für ein Thema zu entscheiden und das fällt vielen schwer. Wenn ich bei einer Organisation oder einem Verein mitmache, muss ich ja auch mit all deren Werten übereinstimmen und bin dann vielleicht auch zeitlich nicht mehr flexibel genug, mich noch zusätzlich für andere Projekte einzusetzen.

Wie lassen sich Menschen für ehrenamtliche Arbeit begeistern?

VUCKO: Bei Ehrenamt denken viele Menschen sofort an Schwere, etwas Erdrückendes, obwohl es das gar nicht ist. Es gibt auch viel Spaß und positive Erlebnisse. Zum Beispiel das gemeinsame Arbeiten in einer Kindergruppe oder eine gemeinsame Wanderung. 

MARIA: Aber auch in Ausnahmesituationen sind schöne Momente dabei. Bei Themen wie Flucht kommt man in Berührung mit starken Gefühlen und schwierigen Lebensgeschichten. Man befürchtet vielleicht, dass das zu einer Belastung wird. Aber zu helfen gibt so viel zurück! Man sieht, dass man Problemen gemeinsam entgegenwirken kann. Dass mein Tun etwas bewirkt. Ich was bewirken kann.

VUCKO: Beim ehrenamtlichen Engagement stehen heute individuelle Handlungen im Vordergrund: Ich mache etwas, das für alle ist. Führer hieß es stärker: Wir machen etwas, das für alle ist. Engagement drückt sich heute anderes aus. Immer weniger junge Menschen spricht es an, sich langfristig an einen Verein zu binden. Es engagieren sich zunehmend mehr Menschen, aber sie tun es weniger dauerhaft und weniger in einer Vereinsstruktur eher in selbst-organisierten Formen. Es braucht daher auch eine Offenheit von traditionellen gemeinnützigen Einrichtungen, anders zu sein und neu zu denken. Es braucht mehr punktuelle Aktionen, damit mehr junge Menschen wieder zu Vereinen und Organisationen finden. 

Junge Menschen wollen sich also anders engagieren. Damit wieder zurück zur Ehrenamtswoche. Wie ist eigentlich die Idee zu dieser Aktion entstanden?

GINI: Die Idee keimte im Zuge der „Werkstadt Junges Wien“ auf, einem großen Beteiligungsprojekt der Stadt Wien, bei dem an die 22.000 Kinder und Jugendliche zu Wort gekommen sind. Viele äußerten ihre Meinung, dass sie was verändern wollen, selbst etwas tun möchten, mitmachen und gestalten wollen. Sie meinten zum Beispiel, sie wollen ein besseres Essen in der Schule und würden dafür auch mitkochen. Ein Jugendlicher hat dann auch den Satz gesagt: „Statt einer Woche in der Schule zu sitzen, würde ich auch eine Woche mitanpacken!“. Und so wurde die Idee geboren.

Die Ehrenamtswoche findet heuer zum 3. Mal statt. Offenbar ist das Konzept aufgegangen.

GINI: Es macht stolz zu sehen, dass viele Vereine und Organisationen bereits zum dritten Mal mitmachen und Projekte einreichen. Auch für sie ist es ein gutes Konzept. Sie entwickeln ihre Angebote für Schulklassen weiter. Mein schönstes Erlebnis bei der Ehrenamtswoche war, als wir einen Anruf vom Wiener Hilfswerk erhalten haben. Sie wollten mit uns gemeinsam einen Pressetermin veranstalten zu einer Kooperation mit einer Schule, die sich aus der Ehrenamtswoche heraus entwickelt hat. Es ist schön zu sehen, dass die Ehrenamtswoche über die Aktionszeit hinauswirkt und nachhaltige Früchte trägt. Genau das ist mitunter ein Ziel der Ehrenamtswoche, zu verbinden und auch Verbindlichkeiten zu schaffen. 

Was wünscht ihr euch für die Ehrenamtswoche 2023?

MARIA: Hoffentlich gutes Wetter, viele schöne Projekte, bei denen Kinder und Jugendliche die ganze Vielfalt von ehrenamtlichen Engagement kennen lernen können. Viele motivierte Klassen, die mitanpacken und sich ausprobieren. In Summe viele fröhliche Gesichter von jungen Menschen und Partner_innen, die gemeinsam etwas Wertvolles für alle schaffen. 

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