Nach Trans. Sex, Gender und die Linke
- Fachgebiet:
- Geschlechtssensible Pädagogik
Rezension:
Elisabeth Duval’s Text gehört sehr wahrscheinlich zu einem der gegenwärtig am meisten diskutiertesten, die sich mit dem Thema Feminismus und Trans beschäftigen. Es heißt: ein Grundlagentext. 2021 auf Spanisch, 2023 auf Deutsch erschienen, wurde er dieses Jahr in das Programm der Bundeszentrale für Politische Bildung aufgenommen.
Duval vertritt einen trans-inklusiven Feminismus. Zunächst bricht Duval mit einer heiligen Kuh der Identitätspolitik: der Standpunkttheorie. Das leuchtet ein: Könnte diese doch dazu benutzt werden, zu behaupten, dass eine Trans-Frau nichts über Frau sagen, als Frau fühlen, sich verhalten oder gar leben könne, um einen Text wie den von Duval als eine Form der geschlechtlichen bzw. kulturellen Aneignung zurückzuweisen.
Um Aneignung positiv zu fassen, muss Duval allerdings Fortpflanzung, Gebärfähigkeit, Gebärmutter sowie primäre, sporadisch auch sekundäre, Geschlechtsorgane als Kriterien für Geschlecht, ja überhaupt das biologische Geschlecht, für irrelevant erklären. Zwar erkennt sie eine gewisse biologische Materialität an, Geschlecht aber habe sich von dieser gelöst und sei alleinig im Bereich des Symbolischen, des Konventionellen und der Wiederholung zu verorten. Damit wird das soziale Geschlecht als primär behauptet: Geschlecht, so Duval, sei Sprache.
Duval knüpft hier an Butler an und will sie zugleich gegen deren Kritikerin Storck verteidigen, die u.a. auf eine Inkonsistenz im Werk von Butler hinwies: Diese behaupte gleichzeitig, dass es keine menschlichen Körper vor ihrer soziokulturellen Konstruktion gäbe, räume aber andererseits auch ein, dass da irgendwie doch so etwas wie „Materialität“ sei. Duval schreibt diese Inkonsistenz fort.
Entscheidend für das Geschlecht Frau sei der Blick des Mannes. Hier liege der Ursprung des Patriarchats, nicht aber in der Kontrolle der Gebärfähigkeit. Angesichts dessen, dass das (Auge des) Patriarchat(s) sich bevorzugt darum bemüht(e), die absolute Kontrolle über Fruchtbarkeit, Partnerschaft und Gebärfähigkeit der Frauen herzustellen, ein Umstand, auf den nicht selten auch alle anderen Formen der Marginalisierung und Diskriminierung von Frauen, bis hin zum Femizid und der Tötung der Kinder, zurückgeführt worden, eine sehr radikale, alle „Materialität“ verneinende These.
Muss man sich wundern, wenn menstruierende Person: Schmerz und Blut und Regel, da zuweilen wütend wird, wenn Trans-Aktivistinnen wie Duval ihnen den Feminismus auf diese Art neu erklären? Sicher: Duval kann sich als Trans-Frau von gewissen „Materialitäten“ distanzieren und ihre Aufmerksamkeit dem zuwenden, was Mann, nicht selten, etwa in Wagners Parsifal, durch eine gestohlene Wunde symbolisiert, schon immer als Sublimierung vorschwebte: Statt Gebärfähigkeit: Kreativität. Statt Schwangerschaft: Produktion. Statt Blut: Tinte. Sie schreibe, bemerkt Duval in diesem Sinne kokett, weil sie nie biologische Mutter sein werde.
Duval muss auch nicht verhüten. Ihre Sexualität ist vollkommen abgekoppelt von der Reproduktion. Sie stellt klar heraus, dass genau dieses Auseinanderfallen die Geburt der modernen Transe sei. Aber was sagt die moderne Frau dazu? Ist sie nach wie vor der Knecht ihres Geschlechts, während die Trans-Frau ihres als Herr einfach nur genießen kann? So könnte man mit Hegel fragen: Die Geschichte geht leider nicht gut aus. Für den Herrn.
Um Geschlecht unabhängig von Biologie und Fortpflanzung zu verstehen, orientiert sich Duval an der philosophischen Phänomenologie: Für Geschlecht und dessen Diskriminierung sei nur das im Alltag Sichtbare entscheidend. Die Wahrnehmung eines Sexualschemas, der Physiognomie, des Verhaltens und Gebarens. Genitalien, wir lebten ja angezogen in Nord-Europa, nicht. Der unsichtbare Uterus schon gar nicht. Angesichts gegenwärtiger Diskussionen um ein zyklusbasiertes Training, hier schlagen sich ja gewisse „Materialitäten“ und deren Zustände auch im Verhalten und der Leistungsfähigkeit nieder, vielleicht etwas zu schnell geschlossen.
Duvals Reduzierung des Geschlechts auf seine soziale Komponente macht diese am Ende so stark und unausweichlich, dass die Geschlechtsbinarität zu weilen als ein absolutes Gehäuse der Hörigkeit erscheint: So weist Duval etwa die gängige Vorstellung zurück, Trans-Menschen seien im falschen Körper geboren. Falsch könne nur Verhalten sein. Die soziale Prägung. Die Vermittlung. Das Angelernte. Insofern etwas erwartet wird und nicht zu dem passt, wie es sich für die Person, die diesem Blick begegnet, anfühlt, weil sie schon am gegenteiligen Verhalten angedockt habe. Trans-Personen eignet »eine symbolische und imaginäre Verschiebung der Geschlechtskonstruktion«. Diese Verschiebungen wirkten sich sowohl auf die Eigen- wie auf die Fremdwahrnehmung aus.
Das also, was man gemeinhin Geschlechtsdysphorie nennt, ist für Duval damit keine Störung der geschlechtlichen Identität mit dem bei der Geburt auf Grund von primären Merkmalen zugewiesenen bzw. dem sogenannten biologischen Geschlecht. Die Dysphorie besteht bei Duval zwischen dem inneren Selbstbild und dem Bild von außen. Das Selbstbild einer Trans-Frau bspw., ist das einer Frau, das Bild von außen, also wie sie sozial wahrgenommen wird, aber womöglich mehrheitlich das eines Mannes. Duval geht dabei so weit, dass sie meint, dass geschlechtsangleichende Maßnahmen letztlich diesem Widerspruch geschuldet sind und einzig wegen der falschen äußeren Wahrnehmung der anderen vorgenommen werden, die auf Grund dieser Wahrnehmung der betreffenden Person das falsche Schema und damit das falsche Geschlecht zuschreiben. Das beträfe dann auch das manchmal übertrieben wirkende geschlechtstypische Verhalten von, in diesem Fall: Trans-Frauen. Und: Es unterstriche die Verantwortung und Dringlichkeit, Trans-Personen mit den von ihnen gewählten Pronomen und Namen anzusprechen. Aber auch die Schwierigkeit für alle anderen, dies zu tun.
Duval scheint mit dieser Engführung auf das soziale Geschlecht behaupten zu wollen, dass es keinen relevanten Unterschied mehr zwischen Trans-Frauen und Frauen geben würde. Normativ nicht. Rechtlich nicht. In der Öffentlichkeit und im Alltag nicht. Höchstens privat. Unter der Gürtellinie. Im Verborgenen. Damit aber letztlich: irrelevant. Es geht ihr um eine wirkliche Gleichstellung. Diese sei aber nicht erreicht, wenn Trans-Sein auf einer freien Entscheidung beruhe. Oder so getan würde, dass es genau darauf beruhe. Wie das Frau-Sein, so sei auch das Trans-Sein nicht frei wählbar, was in den Gesetzen zur Selbstbestimmung leider nicht immer deutlich werde. Auch Anti-Trans-Aktivist_innen würden der Wahlfreiheit in Bezug auf das eigene Geschlecht eine „übertriebene Macht“ zusprechen. Dabei besitze das Subjekt „nicht die Freiheit, zu sein, wer es sein will, sondern lediglich die Freiheit, sich selbst zu erkennen und zu finden“.
Es kann sich allerdings nach Duval nur im Vorgefundenen finden. Daher ist Trans für sie nur im Rahmen von Medikalisierung und in seiner medikalisierten Existenzform denkbar: Als Geschlechtsangleichung. Im Übergang. Ein Ende der Geschlechter sieht Duval dabei nicht: Der dualen Ordnung des Systems Geschlecht sei nicht zu entkommen, weil ihre Normen uns von klein auf konstruieren, weil wir diese Normen lernen und automatisieren wie eine Sprache: Weil wir dem binären Blick der anderen nicht entgehen. Trans habe daher innerhalb dieses Systems keinen Sinn. Trans sei nur eine Verschiebung. Ein Übergang: Von einem Geschlecht zum anderen. Ein drittes gibt es für Duval nicht. Wie auch kein geschlechtsloses. Nur Binarität. Eigentlich eine resignative und eher konservative Botschaft.
Da glaubt man sich plötzlich in einem Dominospiel, über dem immer noch steht: Feminismus. Schlossen die einen Trans aus, droht nun gerade von Duvals Seite, also denen, die Trans einschließen, ein nächster Ausschluss: Der von non-binären oder genderfluiden Personen, ja all der Geschlechtsidentitäten, die sich keinem der beiden Geschlechter zuordnen. Denn diese verblieben einzig im Performativen, im Modus der Korrektur eines binären Systems, das Duval aber letztlich für unaufhebbar hält.
Um dieses etwas rätselhafte Spiel zu verstehen, sei an Butlers Unterscheidung zwischen Performativität und Performance erinnert: Ein performativer Akt wiederholt eine soziale Konvention und setzt diese durch ihre Wiederaufführung (Performance) fort. Er realisiert das System Geschlecht. Er spricht es aus: Etwa auf die Frage: „Was wird es denn?“ -, antwortet er: „Ein Mädchen/Junge!“ Der einzelne kann dem nicht entgehen, dennoch liegt aber in dieser Wiederholung etwas Handlungsspielraum und damit die Möglichkeit der Subversion: Es ist möglich, nicht exakt und zwanghaft zu wiederholen, Fehler in der Wiederaufführung zu machen und darüber Verschiebungen des Erwarteten zu produzieren. Das aber verbleibt in der Performance. Es ist nur eine Aufführung: „Ein Kind!“ Eine witzige Bemerkung. Das Gehäuse der Hörigkeit wird sie nicht sprengen.
Duval will offenbar sagen, dass alle anderen non-binären Geschlechtsidentitäten nur reine Performance seien und damit den Makel der scheinbar frei wählbaren Geschlechtsidentität fortschreiben. Also kein Schicksal. Keine Unverfügbarkeit. Würde Non-Binarität gesetzlich verankert werden, scheint das für Duvals Anliegen ein Horrorszenario zu sein, insofern dies auf Trans-Personen abfärben würde: Eine frei gewählte Trans-Identität könne keiner Frau gleichgestellt sein. Ein ähnlicher Horror muss Duval vor Feminist_innen haben, die für eine Aufhebung der Kategorie Geschlecht argumentieren bzw. dem binären System Geschlecht überhaupt skeptisch gegenübertreten, wie etwa Lann Hornscheidt.
Es ist nicht immer leicht, Duval zu folgen. Zu viele Kämpfe ficht sie gleichzeitig. Zu sehr sieht sie sich im Mittelpunkt stehen. Und bezieht vielleicht etwas zu viel von allem: auf sich. Überbordend informiert sie dabei über ihre Gefühle beim Schreiben und dass sie das eh nicht wolle, aber doch noch einmal, in diesem Text, tun müsse, dass sie eh nicht als Trans-Aktivistin im Rampenlicht stehen wolle, es aber doch immer wieder tue, dass sie dem ganzen überdrüssig sei usw. Durch das gesamte Buch zieht sich eine Art Abschied: Duval hat genug von diesem Diskurs. Ihr geht es gut. Sie führt ein Leben in Paris. Als Frau. Die schreibt.
Von den einstigen Hoffnungen, dass Trans die binäre Geschlechterordnung aufbrechen würde, die Gesellschaft revolutionieren, Identität hybridisieren, bleibt am Ende eigentlich: Nichts. Trans, das wäre also auch nur eine Episode gewesen? TPE